Praktikumsbericht Kathi Mevissen

April 2008

Kathi_smallEs ist die Tram 19, Richtung Pasing, die mich zum Musenschloss fährt, drei Stationen. Zwei Wochen schreiben, nichts weiter, Buchpassagen schmieden und Bibliotheken umkrempeln, zwei Wochen nichts von alledem, was die Kunst des stillen Kämmerleins stört? Oder würde ich mich am Ende mit der Muse prügeln und mir ein Praktikum in der Sparkasse statt bei der freien Autorin Katja Brandis wünschen?
Nein, wirklich nicht.
Ich springe aus der Tram, Haltestelle Lohensteinstraße, nehme die paar Schritte, vorbei ein Ein- und Mehrfamilienhäusern mit spitzen Dächern und kleinen Gärten. Das stille Kämmerlein, hier in einem der Münchener Hübsch-Teile.
Mein Kämmerlein habe ich mir im Wohnzimmer aus Laptop, Ordnern, Heften, Nachschlagewerken, Papier, Papier und Papier gebaut. Links von mir dehnen sich die doppelbereihten Bücherregale an die Decke und es ist gar nicht so still. Ich höre Katja in der Nähe, die Musik, die sie beim Schreiben hört und trommle mit den Fingern über die Tastatur, kann mich nicht so recht entscheiden, wo im Gesicht Nanas seine Narbe tragen wird. Und raucht er jetzt, oder nicht? Was ist mit seiner letzten Liebschaft schief gegangen?

Die Digitaluhr neben mir im Regal verschluckt die Zeit, klappt Minuten und Stunden, beim schreiben vergeht die Zeit so schnell. Überhaupt, die Zeit; für Nanas’ Kindheit und Jugend und seine verflossenen Liebschaften könnte ich auch einen zweistöckigen Geburtstagskuchen backen, zeitlich.
Es ist schon komisch: Während die anderen mit Grundschulkindern die Grundrechenarten gurgeln, entwerfe ich die Kultur der Hirschmenschen oder die Persönlichkeit von Nanas del Canera, ziehe Wälder über die Landkarte und radiere eine Felskette aus dem Südosten weg. Gibt es etwas normaleres, wenn man freie Autorin ist?
Ich tippe ein wenig an der Kultur der Hirsch- und Natternmenschen herum, die ich entwerfen soll, später gehe ich rüber zur Meister-Schreiberin und stopfe mit ihrer Hilfe die letzten Löcher in meiner zurechtgestrickten Romanhandlung. Dieses verdammte letzte Drittel Roman – das hat mich erst warten lassen, aber nach einer Woche Praktikum hab ich es achtseitig in meinen Ordner geheftet. Szene für Szene, an manchen Stellen höre ich schon die Figuren reden, schreien, sehe sie die Stirn krausen, vom Reittier fallen, sich küssen. Szene fertig?
Schnell ins Meisterbüro damit, drüberschauen, etwas später: Smiley am Rand, ein Fragezeichen, zwei Ausdrucksschlangen oder ein holprig.
Das Kämmerlein ist nicht still. Es ist voller Austausch, geschriebener und ungeschriebener Wörter, voller Brainstormings (nein, sagen wir Gedankenstürme), voller „Kannst du mir kurz helfen?“; „Schau mal, was du meinst. Bis nachher.“
Meine zwei Wochen Praktikum sollen gar nicht enden. Jedenfalls nicht so bald. Wo ich doch gerade die Tram liebgewinne und die Diktatur der Tastaturen und Bleistifte. Die Schreib- und Schlafphasen gliedern den Tag, endlich, die Wörter können sich breit machen, die Muse kann gleich bleiben, es lohnt sich kaum, fortzugehen.
Und wie wird das später? Kann ich davon leben? Schreiben jeden Tag geht kinderleicht, aber was ist mit Schreiben als Beruf?
Katja antwortet, am Anfang braucht man ein zweites Standbein, Berechenbarkeit. Ein Studium, eine Stelle, einen Lohn. Aber wenn man sich traut, dann trennt man sich irgendwann davon. Ein Lohn auf dem Konto, feine Sache, aber sich nicht mehr halbtags von seiner Schreibstube trennen müssen, ist eine geniale Freiheit.
Übrigens ist es nicht die launische Muse, die den Freiberufler zum würgen bringt, nicht das weiße Blatt, was am Ende in den Ruin stürzt, viel mehr sind es die Verlage, die die niedergeschriebenen Musentänze zurückschicken und den Druck des Buches verhindern. Die Verlagswelt scheint verquer; Bilderbücher bringen soviel Geld wie wälzerdicke Romane, kreative Titel werden mit kitschigen ausgemerzt, Buchverträge bestechen nicht gerade durch ihre Aufrichtigkeit.
Aber irgendwie tun die Verlage doch am Ende das, wofür fast jeder sie liebt: sie drucken das Buch, verkaufen den Roman, lassen deine Worte für viele sprechen.

Ich starre irritiert auf den Bildschirm, an dem ich die Namibia-Bildbände ausleihen kann. Das Gerät liest den Code auf der Nutzerkarte der Stadtbibliothek München und zeigt sofort die beiden Titel an, die ich ausleihen wollte. Woher weiß es das?
Die Stadtbibliothek ist größer als ich dachte und hässlicher. Jedes Regal wird von einer Neonröhre erleuchtet, ganz schön kalt, schließlich wollen sie damit wörterwarme Bücher beleuchten. Später finde ich auch die Abteilung mit 150 Jahre alten Lexika – aber selbst die haben ihre Neonröhre. Ansonsten sind hier tausende Bücher, jede Menge Teppichböden, jede Menge Menschen, die wie in einer Kathedrale gemessen umherschreiten.
Autorin sein ist nicht nur das Kämmerlein, nicht nur das Schreiben, selbst Fantasy-Autoren müssen recherchieren. Die Bibliothek durchforsten, Interviews führen, an den ein oder anderen Inspirationsort fahren, Workshops zu den Handwerken, die in deinem Roman vorkommen. Die eigenen Romane bringen dich immer und immer wieder auf Reise, zwingen, sich in Sinneswelten, Umgebungen, Themen zu vertiefen. Nur wer weiß, was man riecht, wenn man ein Buch bindet, was man hört, wenn man ein Schwert schmiedet, der kann auch darüber schreiben.
Um 14 Uhr verlasse ich immer die Schreibstube – und bin noch lange nicht fertig mit den Worten. Ein Dialog fräst so sehr in meinem Kopf herum, dass ich in meiner Unterkunft direkt wieder meinen uralten Laptop hochfahre. Ich hacke schon wieder Zeilen in Microsoft Word, dabei fällt mir auf, dass das erzählende Schreiben oft für mich mehr ein pausenlanges Nachdenken als ein Schreiben am Stück ist. Ein Satz, eine Dialogzeile, Pause. Ein Satz, wieder gelöscht, Pause. Zwei Sätze.
Später nehme ich die Rolltreppen, mitten im Zentrum, am Marienplatz. Genug Kämmerlein für diesen Tag… und ich gehe in die Buchhandlung Hugendubel, die Mayersche von München. Schon wieder Bücher. Über zwei Stunden bin ich drin, dabei hatte ich ursprünglich noch mehr Pläne für den Tag.
Aber Pustekuchen. Bücher und Bücher und Bücher. Als ob es nichts anderes gäbe. Und morgen um 9 Uhr wird sich schon wieder alles um die Wörter drehen. Es gibt wirklich nicht viel mehr als Bücher, Bildschirme und Bibliotheken – zumindest für diese zwei Wochen.

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